Die Zahlen aus der Patientenaufnahme des Duncan-Krankenhauses waren alarmierend: Immer mehr Patientinnen und Patienten kommen zur Behandlung nach einem missglückten Selbstmordversuch. Die Ursachen sind meist Depressionen infolge von Armut und Konflikten in der Familie, oft im Zusammenhang mit Alkoholmissbrauch, Zwangsheiraten von jungen Mädchen und häuslicher Gewalt.
Die Ärztin Dr. Vandana Kanth entwickelte deshalb gemeinsam mit Difäm Weltweit das Projekt „Nayi Roshni“ – „Neues Licht“. Dabei geht es um die Prävention psychischer Erkrankungen und um wohnortnahe Behandlungsmöglichkeiten. Dafür werden Dorfgesundheitshelferinnen und -helfer, aber auch ehrenamtliche Frauen und Männer zu psychischer Gesundheit sowie den Risiken psychischer Erkrankungen und ihrer Symptome geschult. In Gruppen klären sie anschließend in den Gemeinden über psychische Krankheiten auf und sprechen auch heikle Themen wie die finanzielle Belastung einer Mitgift und die Begünstigung von Jungen in der medizinischen Versorgung an. „Wenn ein Mädchen erkrankt, wird zuerst einige Tage abgewartet, um zu sehen, ob es überlebt. Erst danach wird in der Dorfapotheke ein Medikament gekauft oder eine Gesundheitsstation aufgesucht“, erzählt Difäm-Partnerin Vandana Kanth. Dagegen wird bei der Erkrankung eines Sohnes schnell medizinische Hilfe in einer Gesundheitsstation oder im Krankenhaus gesucht. So werden auch im Duncan-Krankenhaus dreimal so viele Jungen wie Mädchen aufgenommen.
Wenn die Gruppen von familiären Konflikten hören, besuchen sie die Familien und versuchen zu vermitteln. Suizidgefährdete Menschen verweisen sie ans Krankenhaus oder bringen sie selbst dorthin.
Die Prävention von Gewalt, insbesondere geschlechtsspezifischer Gewalt, ist ein weiterer Schwerpunkt des Projektes, da deren Folgen vor allem für Kinder, Jugendliche und Frauen sehr gravierend sind und eine der häufigsten Ursachen für psychische Probleme darstellen. Auf Plakaten, aber auch in den Gesprächen werden die Menschen in den Dörfern dafür sensibilisiert.
Durch die Projektaktivitäten stieg die Zahl an psychisch Kranken, die sich zur Behandlung einfanden, stark an. Deshalb stellte das Duncan-Krankenhaus einen Psychiater – den ersten in der ganzen Region – ein, sodass die Kranken jetzt wohnortnah behandelt werden können. „Doch psychische Gesundheitsfürsorge und -vorsorge ist eine gemeinschaftliche Aufgabe, die nicht hauptsächlich im Krankenhaus stattfinden sollte, sondern in den Dörfern oder Stadtvierteln, wo die Menschen leben“, so Difäm-Partnerin Dr. Vandana Kanth. „Menschen mit psychischen Problemen werden nicht alleine durch Medikamente gesund. Diese sind zwar ein wichtiger Bestandteil der Behandlung gerade bei schweren psychiatrischen Erkrankungen, dennoch spielen bei der Verbesserung der Symptome und der Genesung menschliche Beziehungen und soziale Eingebundenheit eine zentrale Rolle.“
Mittlerweile sind die Suizidversuche in der Region zurückgegangen, obwohl die Suizide in ganz Indien – auch durch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie – um zehn Prozent anstiegen.